Monas Lächeln

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Lass dich treiben! schrie ihre innere Stimme. Lass dich einfach treiben! nun leiser. Beruhigender. Ihr Körper schaukelte auf den Wellen, wurde auf und abgetrieben. Immer wieder unter Wasser getaucht. Sie hatte aufgehört, dagegen anzukämpfen. Das Ufer war mittlerweile viel zu weit entfernt.

 

Sie hatte nicht beabsichtigt, soweit ins Meer hinaus zu schwimmen. Doch sie hatte sich mit einem Mal so herrlich frei gefühlt, so unbelastet. Der Stress und Ärger der letzten Monate waren unverhofft von ihr abgefallen. Sie hatte gespürt, wie ihr Körper leichter wurde, getragen vom Wasser. Schwerelosigkeit. Ja, das war wohl das richtige Worte. Die Schwerelosigkeit brachte die Freiheit. Und da sie nun frei war, hatte sie kein Bedürfnis danach, wieder an Land zurück zu kehren. Hätte sie es versucht, das wusste sie ganz genau, hätte jeder Atemzug die Lasten wieder schwer auf ihre Schultern gepackt. Genau wie in dem Moment, in dem sie, von plötzlicher Panik ergriffen bemerkt hatte, dass die Strömung sie weit, weit hinausgetragen hatte.

 

Es war Schicksal. Bestimmt war es Schicksal. Sie durfte jetzt endlich loslassen. Sie konnte alles abschütteln. Ihre Seele befreien. Neu anfangen. Von den nun sanften Wellen gewiegt, blickte sie zurück. Die Menschen am Strand waren nun noch winzige Punkte. Die Segelboote am fernen Horizont unerreichbar. Würde Jan sie vermissen? Würde er sich wundern, wo sie wohl bliebe? Er hatte nicht mitkommen wollen zum Strand. Das sei ihm zu öde. Schwimmen könne er auch im Hotelpool. Das Wasser sei dort auch viel klarer und hygienischer. Außerdem wolle er schnell noch seine E-Mails checken und vielleicht ein bisschen an seiner neuen Theorie über das Phänomen der psychologischen Manipulation arbeiten. Er würde eines Tages bestimmt berühmt werden, überlegte Mona. Besser, wenn sie ihm dabei nicht im Weg stand. Schon seit längerem hatte sie sich nur noch wie ein lästiges Anhängsel gefühlt. Vielleicht kam das ja auch von der klassischen Rollenaufteilung, die sich zwischen beiden ergeben hatte. Dabei hatte sie ebenfalls studiert. Ihr Traum war es immer gewesen, als Meeresbiologin zu arbeiten. Die bunten Unterwasserwelten hatten sie von jeher fasziniert. Schon als sie als ganz kleines Kind zum ersten Mal mit ihren Eltern ans Meer gefahren war und schnorcheln gelernt hatte. Es gab ja so viel zu entdecken, da unten. Im flachen Wasser war sie damals mit einem regenbogenfarbigen Fischschwarm geschwommen. Später hatte es sie in die Tiefen des Meeres gezogen. Zu Korallenbänken und Gebirgskämmen. Es war eine ganz eigene Welt, da unten. Dunkel und kühl und doch gleichzeitig sanft und fließend. Sie hatte sich immer wohl gefühlt im Wasser. Es war ihr Element. Hüllte sie ganz ein.

 

Doch an Jans Seite hatte sie es lediglich zum Hausmütterchen gebracht. Sie hatte sich von ihm einlullen lassen. Seine Stärke war es, ihre Schwäche auszunutzen. Sie war sich dessen durchaus bewusst. Wie hatte sie das nur zulassen können? Sie hatte niemals eine dieser Frauen sein wollen, die immer nur im Hintergrund agierten und ihren Männern das Leben so organisierten, dass sie sich als die großen Helden fühlen konnten. Nein. Ganz entschieden NEIN. Das wollte sie nicht. So würde es nicht weitergehen. So würde sie nicht enden!

 

Eine große Welle schwappte über sie hinweg. Nein, so würde es nicht enden. Ihr Gesicht verzog sich zu einer schmerzhaften Fratze. So nicht. Alles würde ganz, ganz anders kommen. Sie war froh, dass sie selbst gewählt hatte. Das hatte sie doch, oder nicht? Noch einmal blickte sie angestrengt zum Strand zurück. Die menschlichen Punkte waren noch weiter in sich zusammengeschrumpft. Aber das machte nichts. Es war egal. Sie nahm einen tiefen Atemzug und tauchte. Sie tauchte und schwamm dabei um ihr Leben. Und lächelte.


   

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